Kerstin Schultz: Architektin mit Landhaus
Was ein Landleben so alles kann, das zeigt Kerstin Schultz. Scheinbar mühelos packt sie ihre Professur und ihre Mitarbeiter, Pferde und Katzen unter einen Hut. Die Architektin lebt mit ihrem Mann im Odenwald. Dazu baute sie sich ein Wohn- und Bürohaus auf dem „schönsten Grundstück der Welt“.
„Wohnen auf dem Bauernhof. Pferdefreunde erwünscht.“ Mit dieser Anzeige, so kurz und knapp und so völlig auf den Punkt, fing die Landliebe an. Pferdefreundin Kerstin packte ihren Werner und fuhr mit ihm in den Odenwald. Gerade erst hatten beide ihr Architekturstudium in Darmstadt absolviert und wollten sich mit einem eigenen Büro selbstständig machen. Als Kerstin auf dem Bauernhof ankam, da wollte sie nicht mehr weg – auch wenn ihr Freund, den sie wenig später heiraten sollte, erst mal gar nichts davon hielt. Stattdessen fühlte er sich reichlich überrumpelt und liebäugelte, oh je, mit Berlin. Sie vereinbarten ein Probejahr auf dem Land und unterschrieben den Mietvertrag.
Letztendlich wurden es acht Jahre und in dieser Zeit verliebte sich auch Werner in den Odenwald. Wenn sie abends von den „Liquid Architekten“, ihrem Darmstädter Büro, raus ins Grüne fuhren, dann fühlte sich das an „wie duschen“ und wie „eine einzige Beruhigung“. Auch Bauer Phillip, auf dessen Vierseitenhof sie sich eingemietet hatten, erlebten sie als tiefenentspannt. An jedem schönen Abend saß er in seinen alten Arbeitsklamotten vor der Tür, und was Kerstin und Werner so beruflich machten, interessierte ihn herzlich wenig. Wichtiger waren die anstehende Apfelernte und, natürlich, die Pferde.
„Die Architekturszene ist eine homogene Welt. Unser früherer Bekanntenkreis war ganz vom Beruf geprägt. Da wollte ich raus“, erinnert sich Kerstin an ihre Anfangsjahre. Ihr war nach Bodenständigkeit und Normalität, nach einer pragmatischen Denk- und Lebensweise. In ihrem „103-Seelen-Dorf mit Kneipe“ konnte sie all das finden. Und dabei hätte es eigentlich bleiben können, wäre da nicht diese traumschöne Wohnung in einem Darmstädter Vorort dahergekommen. „Hohe Decken, Parkett, Gründerzeitvilla“, zählt Kerstin auf. Und: viel kürzere Wege bis zu ihrem Darmstädter Büro. Außerdem wollten sich Philipps Enkel auf dem Hof verwirklichen und brauchten Platz. So packte das Paar eines Tages seine Siebensachen und zog zurück in die Stadt – ohne damit glücklich zu werden: „Mir war alles zu bürgerlich, zu kontrolliert, einfach nur spießig. Eine blühende Magnolie machte dort vor allem Dreck, aber keine Freude“, Kerstin schüttelt immer noch den Kopf. Bald schon sehnte sie sich zurück, sympathisierte mit „Straßen, auf denen Kuhscheiße klebt“, und als dann noch der Vermieter die blütenweiße Gründerzeitvilla sonnengelb anstreichen ließ, spätestens da kündigte das Architektenpaar. Es war der Zufall, der sie dann zum „schönsten Grundstück der Welt“ führte. Lag es doch direkt an der Spaziergehrunde, die sie früher, als sie noch auf Philipps Bauernhof lebten, gerne machten. Mit einer gehörigen Portion Glück konnten sie es 2010 kaufen und wollten jetzt „alles richtig machen“. Was bedeutete: In dem Gebäude, das die Architekten für sich planten, wollten sie nicht nur ihre Wohnung, sondern auch Büro und Mitarbeiter unterbringen. Odenwald ganz oder gar nicht. Hopp oder top.
Nur eine Schiebetür trennt heute den privaten Wohnbereich vom Büro – und meist steht sie auf. Auch die große, bis hoch in den Giebel geöffnete Küche, der Wohnbereich und das im Dachgeschoss befindliche Schlafzimmer kommen ohne Türen aus. Die bodentiefen Fensterfronten lassen sich im Sommer aufschieben. Der Raum weitet sich dann aus auf Terrasse, Garten, Kuhweide. Überhaupt fallen die Übergänge in Kerstins Landleben fließend aus: Am Vormittag verlässt sie gerne den Schreibtisch und geht reiten. Oder laufen. Und am Sonntag, da arbeitet sie am liebsten. „Mein Lebensrhythmus hier ist ein völlig anderer“, bilanziert sie. Für ihre Vollzeitstelle als Professorin fährt sie an drei Wochentagen nach Darmstadt, eine Dreiviertelstunde braucht sie bis zur Hochschule. An den zwei anderen Tagen arbeitet sie von daheim.
Viele Projekte, die das sechsköpfige Team von Liquid Architekten heute betreut, stammen aus dem Odenwald, nicht wenige von privaten Bauherren. Da war zum Beispiel dieses Münchner Ehepaar, das eines schönen Tages an ihrer Haustür vorbeispazierte, durch die offene Fensterfront hineinblickte und wusste: So wollen wir auch leben. Sie beauftragten Kerstins Büro und wohnen heute im nächsten Dorf. Aktuell arbeitet das Architektenteam an zwei Concept-Stores, einem Pop-up-Hotel, einem Projekt im sozialen Wohnungsbau, einem Gewerbebau und einer Sanierung von zwei historischen Fachwerk- und Sandsteinhäusern. Allesamt im Odenwald.
Kerstin ist das nur recht. Ihr Herzblut fließt in genau diese Bauvorhaben. „Was soll ich den hundertsten Hinterhof in Berlin entwickeln?“, fragt sie und lässt ihre Kompetenz viel lieber in den ländlichen Raum fließen. Dabei leistet sie nicht selten wertvolle Überzeugungsarbeit, dann, wenn etwa „die olle Scheune“ zugunsten eines Neubaus abgerissen werden soll und sie dazu ermuntert, den Bestand zu entwickeln, das Alte zu bewahren, neu zu erfinden. Spätestens jetzt spricht das Herzblut aus der Architektin. Es fallen Sätze wie „Es ist ein Geschenk, hier wohnen und bauen zu dürfen“ oder „Das Land gibt mehr, als es nimmt“. Den Bau reiner Ferienhäuser, die wochenlang verwaisen, findet sie eher kritisch: „Man kann nicht einfach herkommen und wieder wegfahren. Auf dem Land muss auch etwas bleiben.“ Und so wünscht sie sich unternehmungslustige, gerne junge Leute herbei, die etwas anpacken wollen und nicht weniger als ihr ganzes Leben einbringen.
Erfahrungswerte
Wie findet man auf dem Land eigentlich Anschluss? „Das Ankommen im Odenwald war für uns überhaupt kein Problem“, erinnert sich Kerstin Schultz. „Wir haben hier richtig viele Freunde gefunden.“ Welche Tipps gibt sie Neuankömmlingen?
Erwartungen hinterfragen: „Welche Vorstellungen habe ich selbst vom Landleben, was suche ich? Habe ich überhaupt Lust auf das, was mir ein Dorf, was mir die Menschen dort zu bieten haben? Es ist gut, sich selbst ein paar Fragen zu stellen. Mein Mann und ich wünschten uns den Kontakt und suchten ihn direkt nach unserem Umzug: Wir haben uns beim Ortsvorsteher vorgestellt, sind in die Freiwillige Feuerwehr eingetreten und haben bei den üblichen Festen mitgeholfen. Genauso war es für uns selbstverständlich, den hiesigen Weihnachtsmarkt zu besuchen und die Gasthöfe im Ort.“
Landaffine Interessen: „Ich reite und angele, habe also Hobbys, die mich auch schon früher mit Landmenschen zusammengebracht haben. Unter den Reiterinnen, die ihre Pferde im gleichen Stall untergebracht haben wie ich, konnte ich zwei richtig gute Freundinnen finden. Die Menschen, die ich im Odenwald kennengelernt habe, sind überhaupt unheimlich tierlieb.“
Anpacken können: „Wir haben viel Eigenleistung in unser Haus gesteckt, das war wichtig und zeigte unmissverständlich, dass auch wir nur ein begrenztes Budget zur Verfügung haben – wie alle um uns herum auch. Die Menschen, die hier wohnen, empfinde ich als ausgesprochen fleißig, vor allem die Landwirte. Ich habe Respekt vor dem, was sie alles in ihren Fingern halten und bewirtschaften.“
Gemeinsam leben: „Ich engagiere mich in der hiesigen Gruppe vom Naturschutzbund Deutschland, im Angelverein und gemeinsam mit meinem Mann im Ortsverein ‚Himmelblau‘. Mit den Jahren sind daraus richtige Freundschaften erwachsen. Auf dem Land läuft vieles gemeinsam. Wenn in der Stadt ein Baum umfällt, dann alarmiere ich das Grünflächenamt. Hier im Odenwald kommt mein Nachbar mit dem Trecker.“
Bildnachweis: Callwey Verlag (Ulrike Schacht)