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Christiane Fröhlich verliebte sich in eine reetgedeckte Fischerkate an der Schlei. Eine Immobilie, die eigentlich nur als Wochenendhaus gedacht war, sich dann aber zu einem ganzen Dutzend auswuchs – und zu einem beruflichen Neubeginn: Die Hamburgerin gab ihr altes Leben nebst Werbeagentur auf und zog als Vermieterin von Ferienwohnungen ganz an die Ostsee. Ihr neuestes Objekt: der Arnisser. Ein heruntergekommenes Stadthaus, an das sich außer ihr niemand mehr herantraute. 

„Früher war ich 200 Tage im Jahr auf Reisen.“ Wenn Christine von ihrem „ersten Leben“ erzählt, dann hat das was von Jetset. Jamaika, Seychellen und Miami, sie war überall, wo es schön und sonnig ist. In Florida blieb die gebürtige Hamburgerin gleich zwei Jahre. Ihr Geschäft war die Werbung, die Mode, die Fotografie. „Ein tolles Leben“, sagt sie und lacht. Doch dann fing das Modebiz an zu langweilen. „Ich hatte einfach alles gesehen, alles gemacht. Außerdem empfand ich das Reisen als zunehmend anstrengend. Ich saß im Flieger und sehnte mich zurück an die Schlei.“ Denn hierher, an die Ostsee, nördlich von Kiel, hatte es sie 2007 verschlagen: Auf der Suche nach einem Ruhepol in ihrem sonst so unsteten Leben kaufte sich die damalige Hamburgerin eine reetgedeckte Fischerkate. Sie kannte die Ferienregion aus ihrer Kindheit. „Anfangs war sie nur als Wochenendhaus gedacht. Doch dann nahm ich mir immer öfter die Arbeit mit hierher.“ 2010 baute sie an, richtet sich immer weiter ein – und zwar im Shabby Chic. „Diesen Vintage-Stil lernte ich in den USA kennen. Ich liebe es einfach, wenn Möbel eine eigene Geschichte erzählen. Meinen ersten Gründerzeitstuhl kaufte ich schon mit zwölf, ich fand ihn auf dem Flohmarkt und strich ihn weiß an.“

Dem Weiß ist sie bis heute treu geblieben. Liebend gern kombiniert sie es mit verschiedenen Grautönen, schafft sanfte Übergänge, schätzt die Ruhe der „Nicht-Farbe“: „Die Räume werden größer, heller“, erklärt sie, „es ist schön, von dort aus ins Grüne zu schauen.“ Das fanden wohl auch die vielen Besucher, die sie in ihrer Kate empfing. „Ständig wurde ich gefragt, ob sie in meinem Haus nicht mal Ferien machen könnten.“ Das brachte sie auf eine Idee – und damit zum „Lille Hus“, der Reetdachkate Nummer zwei. „Ich war gerade in Nizza zu einer Fotoproduktion, da entdeckte ich die Immobilie bei einem Makler“, erinnert sie sich. Zurück in Hamburg, fuhr sie direkt vom Flughafen zu dem Haus, das sie künftig an Feriengäste vermieten wollte. „Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich habe das Lille Hus ohne Bedenkzeit gekauft.“ Hauptsache, das Bauchgefühl stimmte – und die erfolgreiche Vermietung gab ihr sogleich recht.

Damit war der Weg frei für das „Reetkäppchen“. Auch diese Immobilie kaufte Christine für Feriengäste und schuf sich so ganz nebenbei ein zweites berufliches Standbein als Vermieterin. Zuerst musste sie aber noch ihren Vater überzeugen. „Das Haus war eigentlich Schrott. Völlig zugemüllt, Pflanzen wuchsen durch das feuchte Mauerwerk, alles war undicht“, erinnert sie sich. Und sie erinnert sich auch an die drei Schnäpse, die ihr Vater nach der ersten Besichtigung brauchte. „Schließlich übernimmt er die Renovierung meiner Häuser“, erklärt sie. „Wir haben zwar einen Handwerkertrupp für alles Grobe, machen dann aber viel selbst.“ Die zahllosen detailverliebten Einbauten – vom Betthaupt bis zum Kaminsims –, die so typisch für Christines Einrichtungsstil sind, gehen allesamt auf das Konto ihres handwerklich geschickten Vaters. „Früher hat er in der IT gearbeitet, wollte aber immer Bühnenbildner werden.“

Der Artikel über Christiane Fröhlich stammt aus dem Reportage-Bildband Gekommen, um zu bleiben, Callwey Verlag, 2022. Text: Kerstin Rubel, Fotos: Ulrike Schacht

Umso mehr genießt der Frührentner nun die stetig neuen „Bühnen“, die ihm seine Tochter bietet. Denn noch ist die Tochter- Vater-Geschichte nicht zu Ende erzählt. Noch muss Christine ihr Hamburger Stadtleben aufgeben, dazu ihre Werbeagentur, die sie 15 Jahre lang führte, und ganz an die Schlei ziehen. 2014 war es dann so weit. Höchste Zeit, denn „plötzlich wollten Freunde auch so ein Feriendomizil und sie beauftragten mich“. Christine machte sich erneut auf Haussuche, wurde fündig, renovierte, richtete komplett – bis zum letzten Kerzenständer – ein und übergab den Schlüssel des nächsten Schmuckkästchens. Dreimal ging das so. „Und nach den Freunden kamen die Feriengäste.“ Auch sie wünschten sich eine eigene Reetdachkate nach Christines Machart und in eben diesem Einrichtungsstil, den sie während ihres Urlaubs im Reetkäppchen oder im Lille Hus zu schätzen gelernt hatten. Auf diese Art kamen vier weitere Häuser zustande. Bei allen blieb sie ihrem eigenen Stil treu und dabei konsequent bis zum Wandhaken in der Abstellkammer. Pro Jahr schafft sie ein Haus, aktuell gibt es eine Warteliste. Wer darauf steht, muss sich etwas gedulden, denn Christines Meisterstück will erst noch fertig werden: „Der Arnisser“, gelegen in dem zauberhaften Schlei-Örtchen Arnis. An das Stadthaus hatte sich sonst niemand herangetraut, so heruntergekommen war es. Sie schon, mit all der Sanierungserfahrung, die sie inzwischen angehäuft hatte.

Der Arnisser verfügt heute über drei Wohnungen und ein Café mit Ladenlokal, das sie selbst bewirtschaftet. Hier verkauft Christine all die schönen Dinge, mit denen sie sonst ihre Häuser ausstaffiert: Leinenkissen, Windlichter, Geschirr aus Dänemark – ein Sammelsurium als Alt und Neu. Mit Laden und Café eroberte sie sich wieder Neuland, unbeeindruckt vom Freundeskreis, der mit Kommentaren wie „Oh Gott, wie kannst du das tun, du kommst doch gar nicht aus der Gastronomie“ reagierte. „Man kann alles lernen, wenn man nur will“, davon ist sie überzeugt. Außerdem empfindet sie die immer neuen Herausforderungen als ihr ganz persönliches Anti-Aging-Programm: „Der Kopf bleibt flexibel. Alles andere macht alt.“


Erfahrungswerte

Baufällige Häuser entdecken, wieder herrichten und dann erfolgreich an Feriengäste vermieten: Den Traum, den Christine Fröhlich lebt, träumt so mancher. Was waren die entscheidenden Stellschrauben, um ihn Wirklichkeit werden zu lassen?

Familiäre Note: „Ich gehe bei meinen Häusern immer von mir selbst aus, deshalb sind sie auch so liebevoll eingerichtet. Diese familiäre Note spüren meine Gäste; es ist, als würde ich sie bei mir daheim begrüßen. 98 Prozent meiner Urlauber, die ich alle persönlich in Empfang nehme, verhalten sich absolut wertschätzend. Mir ist noch nie eine Seifenschale oder ein Kissen abhandengekommen.“

Know-how anhäufen: „Wer alte Häuser sanieren will, muss sich auch mit den historischen Baumaterialien auseinandersetzen, mit Reet oder Lehm, und sich in die Materie einarbeiten. Wenn die Handwerker merken, dass der Bauherr so gar keine Ahnung hat, wird es meist aufwendig – und teuer.“

Generalisten suchen: „Niemals würde ich bei einer Renovierung einzelne Gewerke beauftragen, die dann von ganz unterschiedlichen Handwerkern ausgeführt werden. Der eine schiebt dem anderen nur den schwarzen Peter zu. Außerdem macht mich die Abstimmungsarbeit wahnsinnig. Ich habe heute einen festen, verlässlichen Handwerkertrupp, der auch mal was außer der Reihe erledigt und nicht gleich wegläuft, wenn sich unter dem Fußboden eine Katastrophe eröffnet.“


Bildnachweis: Callwey Verlag (Ulrike Schacht)